Professor Dr. Nils Hafner: Endlich profitabel im Kundenservice
Professor Dr. Nils Hafner spricht im Interview mit ServiceOcean über erfolgreiche Servicestrategien
Als führender Experte für den Aufbau profitabler Kundenbeziehungen forscht, unterrichtet und berät Professor Dr. Nils Hafner an der Hochschule Luzern. Zudem leitet er ein Studienprogramm zum Digital Banking und nimmt Lehraufträge an mehreren europäischen Hochschulen wahr. Sein Blog «Hafner on CRM» und «Hafners CX Podcast» diskutieren aktuelle Herausforderungen interessant, spannend und unterhaltsam. Nils Hafner ist Autor des Bestsellers «Die Kunst der Kundenbeziehung».
Lieber Herr Hafner, herzlichen Dank für Ihre Zeit und spannende Einblicke in Ihre Forschung und Beratung zu erfolgreichen Servicestrategien.
Besonders im Service kennt man noch den Slogan «Der Kunde ist König». Inwieweit passt diese Perspektive noch zu profitablen Kundenbeziehungen auf Augenhöhe?
Leider passt das gar nicht. Der Kunde ist Partner. Nicht König. Er hat Rechte (bspw. sehr gut behandelt zu werden) und Pflichten (bspw. detailliert zu schildern, worum es geht, bspw. für das Produkt oder den Service zu zahlen). Viel wichtiger ist, dass im Kundenservice Kunde und Unternehmen eigentlich das gleiche Ziel haben. Nämlich dem Kunden schnell die richte Antwort auf sein Serviceanliegen zukommen zu lassen.
In den letzten Jahren steigt die unternehmensinterne Wertschätzung für den Kundenservice. Inwieweit teilen Sie diese Einschätzung und wo sehen Sie noch weiteren Handlungsbedarf?
Wenn dem so ist, freut es mich natürlich. Die Unternehmen sind eigentlich in einer schizophrenen Situation. Einerseits geben sie viel Geld aus, um sich bspw. zu Customer Experience Management beraten zu lassen, investieren in Verkaufsberatungserlebnisse. Kommt es jedoch auf die Weiterempfehlung bspw. des Kundenservices an, versagen die meisten Firmen kläglich. Lange Wartezeiten und gehören nach wie vor zum Kundenerlebnis. Hier werden die wichtigen Punkte nicht gemacht und die «vorn» in der Customer Journey investierten Gelder verpuffen ohne nennenswerte Ergebnisse.
Interessant zu beobachten ist das starke Wachstum im Angebot von Touchpoints wie Chatbots oder Self-Services, um die Telefonie zu entlasten. Wo sollte der Fokus gesetzt werden?
Grundlage für die Automatisierung von Kundenerlebnissen sollte die Value-Irritant-Matrix sein. Die Grundidee eines erfolgreichen Kundenservice ist es dabei festzustellen, bei welchen Dialogen Kunde und Unternehmen gleichzeitig Interesse am persönlichen Kontakt haben. Nur hier kommen wertstiftende Gespräche zustande (Quadrant rechts oben).
In der Matrix wird also wird einerseits aus der Sicht der Unternehmung überlegt, ob diese an einem persönlichen Dialog mit dem Kunden unter Service-Gesichtspunkten interessiert ist, weil sie etwas über ihre Produkte und Dienstleistungen lernen kann, sich dadurch Ideen für Einsparungen ergeben sowie, ob sich durch den Kontakt eine Chance ergibt, weitere Produkte oder Leistungen zu verkaufen oder eben nicht.
Andererseits wird systematisch die Perspektive des Kunden auf den Dialog eingenommen. Ist der Kunde wirklich an einem persönlichen Kontakt interessiert, weil er Antworten auf seine Fragen oder einen Rat bekommt und im Idealfall Geld sparen kann, oder sieht er gar keine Notwendigkeit, mit einem Unternehmen in Kontakt zu treten und empfindet den Kontakt als ärgerlich?
Besteht eine Interessendivergenz (hat also der Kunde ein hohes Interesse, eine Problemlösung zu erhalten und das Unternehmen schätzt diesen Kontakt vor allem als zusätzliche Kosten ein), sollte der Kontakt durch Self Services automatisiert werden. Das ist vor allem da spannend, wo Kunden immer wieder die gleichen Fragen stellen. In diesem Zusammenhang geht es häufig um das Verständnis der Funktionsweise von Produkten und Dienstleistungen.
Den Erfolgsbeitrag vom Kundenservice kann man mittlerweile auch in Euro berechnen. Inwieweit ist eine Kostenperspektive heute noch sinnvoll?
Naja, die meisten Unternehmen sehen den Kundenservice nach wie vor als Cost-Center. Dabei kann man sicher cleverere Kennzahlen als die AHT und den Servicelevel anwenden. Gerade wenn man mit der Value-Irritant-Matrix arbeitet, sind eher Kennzahlen wie der Self-Service-Grad oder die Anzahl wertschöpfender Dialoge und der dadurch realisierte Umsatz und Lerneffekt sinnvoller.
In welche Bereiche des Kundenservice sollten Unternehmen am ehesten investieren?
Es geht im Grunde darum, zunächst zu verstehen, wo Zeit eingespart werden kann, beim Kunden sowie beim Unternehmen. Häufig bringt die Elimination von Dialogen, die weder Kunde noch Unternehmen wollen, bis zu 10% des Servicevolumens. Automation bringt erfahrungsgemäss ca. 15% weiter Volumina. Diese Effekte entstehen aber nur, wenn der Self-Service wird gut zu bedienen ist, also eine hervorragende UX hat.
Schlussendlich geht es aber nach wie vor darum, die Dialoge am Telefon smarter zu machen. Schliesslich zeigt uns das Service-Excellence-Cockpit, dass ca 78% aller Servicedialoge im DACH Raum nach wie vor über das Telefon abgewickelt .
Software oder Mensch – wo liegt die Zukunft im Kundenservice?
Ganz klar eine Kombination. Ohne Software kein Skillbased Routing oder keine Rückrufautomation. Ohne Software keine automatische Erkennung des Kunden und Antizipation seiner Probleme. Und ohne Software keine Automation und kein Self-Service. Schlussendlich ist jedoch der Mitarbeiter zu 60% matchentscheidend, wenn es um begeisternde Service-Erlebnisse und damit den Unterschied geht. Gleichzeitig ist ein schlechtgelaunter Mitarbeiter auch das grösste Risiko.
Die Erarbeitung und Umsetzung einer schlüssigen Servicestrategie ist anspruchsvoll. Können Sie unseren Lesern abschliessend drei Tipps geben?
Klar. Erstens. Formulieren Sie eine ansprechende Vision: «Wo wollen Sie mit dem Kundenservice hin?» Weg vom Cost-Center hoffentlich. Sonst wird man diese Funktion (den Kundenservice) irgendwann komplett automatisieren.
Zweitens: Stellen Sie einen Servicekatalog auf. Warum rufen Kunden wie häufig bei Ihnen an? Verteilen Sie diese Anrufgründe auf die Value-Irritant-Matrix.
Drittens: Bauen Sie ansprechende Automatisierungen und Self-Service-Lösungen. Und nutzen Sie die freiwerdende Zeit für wirklich wertstiftende Dialoge. Dafür müssen Sie ihre Mitarbeitenden häufig auch smart weiterqualifizieren. Aber: Es lohnt sich!
Das Interview führte Pia Unke, Marketing Managerin bei ServiceOcean, im März 2022.